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Ilha Grande – grünes Juwel an der Costa Verde

Angra dos Reis_HafenEigentlich ist es gar nicht so weit von Rio de Janeiro nach Angra dos Reis, der rund 150 Kilometer südlich gelegenen Stadt an der Costa Verde. Bei gutem Verkehr schafft man die Strecke in knapp drei Stunden, meist aber sind es dann doch vier bis fünf. Hat man einmal die pulsierende Metropole am Zuckerhut verlassen, ist die idyllische Fahrt entlang der grünen Küste das perfekte Gegenprogramm zur Großstadt. Nirgendwo sonst in Brasilien reichen die mit dichtem atlantischen Regenwald bewachsenen Berge so nah ans Meer wie hier. Die kurvenreiche, sich hinauf und hinab schlängelnde Straße entlang der Küste macht Spaß. Grün in allen denkbaren Schattierungen ist hier die vorherrschende Farbe; der Blick auf die Buchten, versteckten Strände und vorgelagerten Inseln schlicht atemberaubend. Am liebsten würden wir hier und da einen Stopp einlegen, müssten wir nicht die Fähre schaffen, die mehrmals am Tag von Angra dos Reis auf die rund zehn Kilometer entfernte Ilha Grande ablegt.

Pousada NaturaliaBei unserer Ankunft hängen dunkle Wolken tief am Himmel. Statt der Fähre erwartet uns am Hafen ein Schnellboot im Stil eines Katamaran, was die Überfahrt von eineinhalb Stunden auf nur 35 Minuten verkürzt. Mittlerweile hat es auch zu regnen begonnen, die See ist rau, der Wind pfeift und die meterhohen Wellen brechen sich tosend am Bug. Die Gicht benetzt Gepäck und Mensch mit einem feinen Film. Schließlich erreichen wir Vila do Abraão, den Hauptort der Ilha Grande, die zu den bekanntesten Inseln Brasiliens gehört. Die ‚große Insel‘ ist praktisch autofrei, Straßen gibt es nicht. Und während unser Gepäck mit der Schubkarre zu unserer Unterkunft gebracht wird, ziehen wir die Schuhe aus und laufen barfuß über den weichen feuchten Sand. Vila do Abraão liegt auf dem Teil der Insel, der dem Festland zugewandt ist und ist äußerst überschaubar. Auf dem schmalen Küstenstreifen reihen sich Pousadas, Restaurants, Bars und ein paar Shops aneinander und bilden, wenn man so mag, ein kleines Zentrum. Unsere Unterkunft, die naturbelassene Pousada Naturalia, liegt am östlichen Ende des noch zu Fuß erreichbaren Strandes, etwas erhöht am Hang. Der Dschungel umhüllt die schlichten und rustikalen Bungalows mit Balkon und Hängematte. Hier und da gibt er den Blick aufs Meer frei. Wir schaffen es gerade noch rechtzeitig zur Tea Time im zu allen Seiten offenen Restaurant.

Ilha Grande von obenDie Ilha Grande ist beinahe komplett mit tropischem Regenwald bewachsen und misst an ihrer höchsten Stelle, dem Pico do Papagaio (Papageienspitze), immerhin 982 Meter. Dort, wo die mit Regenwald bewachsenen Berge nicht direkt ins Meer reichen, ist Platz für kleine und große Strände und davon gibt es viele. Über 80 zählt die Insel, die man zu Fuß nicht komplett umrunden kann. Der Strand Lopes Mendes ist der bekannteste und zählt zudem zu den schönsten weltweit. Neben dem Hauptort gibt es nur wenige bewohnte Flecken, die meisten davon sind lediglich per Boot erreichbar. Die einzige, nicht asphaltierte Straße der Insel führt von Vila do Abraão nach Dois Rios auf der anderen, dem offenen Ozean zugewandten Seite.

Gefängnis Dois RiosOhne Zweifel, die Ilha Grande ist ein grünes Juwel. Ihre dunkle Vergangenheit hat dazu geführt, dass Sie erst seit kurzem mit dem Tourismus in Berührung gekommen ist und über ein noch intaktes Ökosystem verfügt. Entdeckt wurde die Insel bereits im 16. Jahrhundert von den Portugiesen, avancierte später zum Rückzugsort für Piraten und im 18. Jahrhundert als Umschlagplatz für den Sklavenhandel. Ein Jahrhundert später und in Zeiten der Cholera wurde auf der Insel ein Quarantäne-Lazarett eingerichtet. Europäische und asiatische Einwanderer mussten sich hier eine Zeit lang aufhalten, bevor sie offiziell nach Brasilien einreisen durften. Die Ruinen des Lazaretts stehen auch heute noch und sind von Regenwald überwuchert. Von Vila do Abraão erreicht man sie leicht nach einer kurzen Wanderung. In den Folgejahren wurde das Lazarett als geschlossene Anstalt für Leprakranke umfunktioniert und zudem das erste Gefängnis bei Dois Rios gebaut. Landeten anfangs noch Schwerstverbrecher hier, schickte man während der Militärherrschaft ab 1964 hauptsächlich politische Gefangene. Erst 1993 wurde das Gefängnis geschlossen. Einige der Insassen sind indes auf der Insel geblieben, die meisten leben heute noch im Geisterort Dois Rios. Die breiten Straßen, großen verlassenen Häuser und nicht zuletzt die Gefängnisruinen zeugen von der belebten Vergangenheit des Ortes.

Dois Rios StrandAm nächsten Morgen holen wir uns von der kleinen Touristen-Info am Pier eine Übersichtskarte der Insel. Es gibt 16 offizielle Wanderwege zwischen ein und sieben Stunden, von leicht bis schwer. Alle führen durch den Regenwald, teilweise auf klitschigen, engen Pfaden. Immer wieder lichtet sich der Weg und man entdeckt eine versteckte Bucht oder einen idyllischen, menschenleeren Strand. Wir möchten unbedingt die Gefängnisruinen sehen und entscheiden uns daher für eine Tour mit dem Mountainbike. Letztendlich wandern wir dennoch – nämlich die Hälfte der Strecke mit dem Fahrrad hoch. Die Luftfeuchte ist nach dem Regen hoch und der Weg steinig und steil. Der Strand in Dois Rios ist fast unbesucht, was nicht verwunderlich ist, liegt er doch auf der wilden Seite der Insel und ist schwerer zugänglich als Lopes Mendes. Nur einmal in der Woche ist der noch intakte Teil des Gefängnisses für Besucher zugänglich und so umrunden wir die eingerissenen Mauern nur von außen. Direkt neben dem offenen Meer, umgeben von dichtem Dschungel und den Bergen der Insel im Hintergrund, wirken die Ruinen auf schreckliche Weise pittoresk.

Am darauffolgenden Tag leihen wir uns am Strand ein Kajak und paddeln vorbei an den vor der Küste ankernden kleinen Booten und großen Schonern bis hin zum Strand Praia da Júlia. Die Sonne taucht die Insel in ein gleißendes Licht und der kleine Strand erstrahlt weiß. Die Insel bietet für Aktivurlauber viele Möglichkeiten. Neben kajaken kann man Tauch- oder Schnorchelausflüge machen, sich in Stand Up Paddling versuchen, mit dem Boot zu weiter entfernten Buchten und Stränden fahren oder auch einfach nur Sonnenbaden. Restaurants gibt es für jeden Geschmack und Geldbeutel. Die Unterkünfte sind zahlreich, zwar überwiegend einfach, aber sauber und nett. Auch wenn im brasilianischen Sommer mehr, vor allem einheimische Touristen die Insel bevölkern, findet man schon ein paar Meter vom Hauptort entfernt Ruhe inmitten purer Natur. Ohne Zweifel, die Ilha Grande ist unbedingt eine Reise wert! (Text von Sally Martin)